Versklavt, verhöhnt, vergessen?
Er kam nach Europa als Sklave und ging als Professor. Wie die Universität in Halle nach der rechten Erinnerung an Anton Wilhelm Amo sucht.
Es ist kurz vor Weihnachten, der letzte Sitzungstag 2019 im Deutschen Bundestag. Auf Verlangen der rechtspopulistischen AfD wird eine aktuelle Stunde mit dem Titel „Das Globale Flüchtlingsforum in Genf und ein Grundrechtekatalog für Menschen mit afrikanischer Abstammung“ veranstaltet. Martin Hübner (AfD) bezeichnet eine Resolution des Europäischen Parlaments, die die Mitgliedsstaaten u.a. zur Bekämpfung von Unter strukturellem Rassismus (häufig auch institutionellem Rassismus) wird der gesellschaftlich tief verinnerlichte Rassismus verstanden, der dafür sorgt, dass Diskriminerung und Rassimus ausgesetzte Menschen ihre Menschen- und Grundrechte im Allgemeinen nicht im gleichen Maße wahrnehmen können. auffordert, als "rassendiskriminierendes Gesetz" — gegen Weiße natürlich. „Kennen Sie Dr. Anton Wilhelm Amo?“, kontert der Bundestagsabgeordnete Dr. Karamba Diaby (SPD).
Eine unglaubliche Geschichte
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wird Amo als Kind aus den Gebieten des heutigen Ghanas verschleppt. Mit einem Schiff der berüchtigten Niederländischen Westindien-Kompanie kommt er als Sklave in Amsterdam an und wird an den Fürst Anton-Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel „verschenkt“, der ihn an seinen Sohn August Wilhelm "weitervererbt". Der hält Amo bis zu seinem 16. Lebensjahr als Ein Lakai war ein Angestellter, der seinem Dienstherr gehorsam und unverdrossen zu dienen hatte. Als Lakai hatte man in der Regel seinem Dienstherr auf Schritt und Tritt zu folgen., gibt ihm jedoch später die Möglichkeit auf die Universität in Halle zu gehen. Amo lernt fünf Sprachen, studiert in Halle Philosophie und Jura. In Wittenberg macht er schließlich seinen Magister und promoviert zur Leib-Seele-Problematik.
Amos vermutlich wichtigste Arbeit über die Rechtsstellung Schwarzer Menschen in Europa scheint allem Anschein nach verschollen. Sein Einfluss und seine potentielle Vordenkerschaft in der Frühaufklärung sind Teil aktueller Forschungen.
In den 1740ern verlaufen sich dann Amos Spuren in Jena. Seine Mentoren sterben und er gerät zunehmend in gesellschaftliche Isolation. Ein Heiratsantrag von ihm wird abgelehnt. Es folgen rassistische Spottgedichte eines Hallenser Professoren. 1747 meldet er sich bei der Niederländischen Westindien-Kompanie und möchte nach Ghana zurückkehren. Ein Land, dessen Sprache er wahrscheinlich nicht mehr spricht und dessen Kultur er kaum persönlich erfahren haben dürfte.
Auf einem Grabstein bei Shama findet sich das Jahr 1784 als sein Todesjahr.
Gerechtigkeit verlangt Zeit
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Diaby engagiert sich schon seit Jahren für Amo, seitdem er ihm während des Chemie-Studiums in Halle begegnet war. Doch versuche des Engagements für ein angemessenes Gedenken, z.B. mit einer Umbenennung der Emil-Abderhalden-Straße in Anton-Wilhelm-Amo-Straße scheiterten noch während seiner Zeit als Stadtrat in Halle. Doch noch immer begegnet Amo Studierenden, die nicht locker lassen.
Alma studiert ebenfalls an der Martin-Luther-Universität. Neben ihrem Studium engagiert Alma sich bei Halle Postkolonial für die Dekolonialiserung ist ein Prozess, der das Fortbestehen imperialistischer Strukturen in verschiedenen Lebensbereichen bewusst machen und dagegen vorgehen möchte. der halleschen Öffentlichkeit. Vor einem dreiviertel Jahr war Alma dabei, als sich das Aktionsbündnis Anton Wilhelm Amo Halle gründete, mit dem Alma sich gemeinsam für ein angemesseneres Gedenken an Amo einsetzt. Sie sind unzufrieden, wie das Erinnern bisher verläuft.
Eine Statue ist eine Statue ist ...
Am Universitätsring, im Schatten des Robertinums, steht eine Bronze-Statue, die von dem Bildhauer Gerhard Geyer errichtet wurde. Die Statue entstand nach einer Studienreise Geyers und trug zunächst den Titel „Freies Afrika“ Bild: Totale der 1965 errichteten Statue mit Gedenkplatte an Anton Wilhelm Amo.. Sie zeigt zwei Ghanesen, eine Frau und einen Mann, in "sozialisitscher Haltung" und sollte zunächst an den ersten Präsidenten Ghanas, Kwame Nkrumah, verschenkt werden. Doch daraus wurde nichts. Stattdessen widmete die Universität mit einer 10 Jahre später eingeweihten Gedenktafel die Statue um, um an Anton Wilhelm Amo zu erinnern.
Eine Reihe Aktivist:innen, die sich mit der Geschichte Amos auseinandersetzten, stört das. Auch Alma ist unter ihnen. Gemeinsam schreiben sie im Oktober 2018 einen Brief an die Universität, worin sie das universitäre Gedenken an Amo kritisieren. Ein Kritikpunkt ist die Statue und deren Kontext. Sie sei einerseits rassistisch, da sie das Andenken an Amo auf stereotype Art und Weise auf seine Herkunft reduziere. Der Künstler habe bspw. garnicht an Amo gedacht, als er die Statue entwarf und sei selbst verwundert gewesen über die Verwendung als Gedenken am Amo. Andererseits sei die Statue sexistisch, denn im Gedenken an Amo, mache sie die Bedeutung der Frau unsichtbar.
Doch es gibt auch noch andere Kritikpunkte. So schmücke sich die Universität seit 1994 mit einen nach Anton-Wilhelm-Amo benannten Preis für besondere wissenschaftliche Leistungen. Doch der würde nicht nach dem Geiste Amos verliehen und berücksichtige nicht seine besondere Rolle für die afro-europäische Gemeinschaft. Denn auch wenn der Preis vorrangig an ausländische Studierende verliehen werden solle, so erhielten in der Vergangenheit u.a. Weiße ausländische Studierende den Preis.
Die Antwort auf Idealismus lautet Bürokratie
Die Universität antwortete mit der Arbeitsgemeinschaft „Erinnerungskonzept an Anton Wilhelm Amo“, in der nun an einer Lösung gearbeitet werden soll. Hier sitzen nicht nur Vertreter:innen der Universität, sondern auch Diaby und Vertreter:innen des Aktionsbündnis. Doch neben bürokratischen Schwierigkeiten — die Statue gehöre der Universität, das Grundstück auf dem die Statue stehe der Stadt — scheinen sich mittlerweile die gesellschaftlichen Mehrheiten so weit nach Rechts verschoben zu haben, dass man Angst vor einem zu forschen Vorgehen zu haben scheint.
Derweil tauchten im Januar über Nacht Plakate in Halles Innenstadt auf, die ebenfalls die städtische Erinnerungskultur kritisieren. Ob die Ergebnisse der Arbeitsgemeinschaft zu einer besseren Erinnerungskultur beitragen werden, wird wohl ausschließlich die Zukunft zeigen.